Im Keller des Wohnhauses meiner Oma stand, sorgfältig verpackt, das Waffenrad meines Vaters. Schon mit 12 Jahren besaß ich mehr als nur ein Fahrrad. Was mir aber am meisten fehlte, war genau dieses Waffenrad. Noch war es mir zu groß. Es folgte eine lange Wartezeit, in der mein Verlangen heftigen Ablenkungen ausgesetzt wurde: einem Puch Vent Noir Rennrad, das sich der Vater der befreundeten Nachbarskinder leistete. Wenn er nach einer Ausfahrt mit seinem surrenden Freilauf im Hof einrollte und danach penibel die Mechanik servicierte, konnte mich nichts davon abhalten, ihm dabei Gesellschaft zu leisten. Das Vent Noir blieb ein Traum, so wie auch das Waffenrad. Bevor ich es noch in Besitz nehmen konnte, wurde es zum Alteisen gebracht. Meine Eltern halfen mir über die folgende schwere Zeit, indem sie mich schließlich mit einem Halbrenner versorgten, leider kein Clubman. Ein Puch-Fahrrad besaß ich trotzdem: den gelben Highriser mit Bananensattel und einer 3-Gang Oberrohr Knüppelschaltung von Sachs. Das Fahrrad war zwar trotz Tuningmaßnahmen als Fortbewegungsmittel nur eingeschränkt zweckmäßig, reziprok zum Coolness-Faktor der freilich jenseits der Messbarkeit lag.
Ähnliches werden wohl viele erlebt haben, die ihre Fahrrad-Sozialisation in Österreich erhielten. Unscharfe Erinnerungen an blitzenden Lack, grüne Trikots und verwitterte, ölige, schwarze Stahlrahmen.
Die beiden Fahrradhistoriker Walter Ulreich und Wolfgang Wehap haben eben im steirischen Weishaupt Verlag ein Buch herausgebracht, dass sich mit der Geschichte der Puch Fahrräder auseinandersetzt. Sie stellen der Öffentlichkeit damit erstmals wissenschaftlich gesicherte Informationen zu diesem Thema zur Verfügung. Alle bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Rezensionen legen den Schluss nahe, dass dieses Buch ein Standardwerk werden wird.
Anlässlich der Buchpräsentation am 4.3. in Wien konnte ich Walter Ulreich einige Fragen zu Puch und den Fahrrädern stellen:
David Was ist Dein persönlicher Zugang zum Puch Fahrrad?
Walter Angefangen hat es damit, daß mir niemand sagen konnte (Fahrradhändler, Freunde, Bekannte), wie alt die Fahrräder sind, welche ich damals vom Sperrmüll zusammensammelte. Damals (also Mitte 1980er) studierte ich an der Universität Wien und entdeckte die vielen alten Fahrradzeitschriften in der Universitäts-Bibliothek. Da hab ich dann viel gelesen und exzerpiert. Dann organisierte ich eine Ausstellung mit den Depot-Fahrrädern des Technischen Museums Wien und verfaßte den Katalog dazu, damit war ich auch schlagartig international bekannt, wurde Herausgeber der Zeitschrift der ‚International Veteran Cycle Association‘, bald ihr Präsident und hielt nahezu weltweit Vorträge zum Thema österreichische Fahrradgeschichte. Ich stellte ein Archiv zur Fahrradgeschichte zusammen und publiziere, halte Vorträge und organisiere Ausstellungen. Die größte bisher war in Schloß Schwarzenau 1994. Mein Zugang zum Puch Fahrrad war die Erkenntnis, daß es die wichtigste Firmengeschichte auf diesem Gebiet in Österreich ist und bisher ungeschrieben. Mein Buch zum Steyr Waffenrad (red. Anm.: ersch. 1995) war sozusagen eine Probe, ob es dafür einen Verleger und Leser gibt, und wie so eine Geschichte aufbereitet werden kann. Sobald das klar war, habe ich an dem Puch-Buch zu arbeiten begonnen.
D Wie lange beforschen Wolfgang Wehap und Du dieses Thema schon?
W Für Fahrradgeschichte allgemein: Ich seit etwa Mitte der 1980er Jahre, Wolfgang seit 1999, für die Fahrradgeschichtswerkstatt im Vorfeld der Velocity Conference in Graz/Maribor. Für das Puch-Buch: Ich seit 1996, Wolfgang ist im April 2014 eingestiegen.
D Was macht die Faszination der Puch Fahrräder aus?
W In Österreich ist Puch identitätsstiftend in Sachen Fahrräder, die wichtigste Fahrrad-Firma. Hatte feine Rennräder und unverwüstliche Gebrauchsräder. Auch internationaler Erfolg.
D War Johannes Puch eher Konstrukteur oder Unternehmer?
W Für mich eher Unternehmer, die ersten Fahrrad-Patente waren unter Johann Puch angemeldet, aber das war auch der Firmen-Name. Ich denke, daß er die Technik eher delegierte.
D Gab es bei Puch eigentlich auch so etwas wie avantgardistische Kuriositäten oder exotische Innovationen bei Rahmen und Komponenten, die dann in Vergessenheit gerieten?
W Die frühe Beschäftigung mit Aluminium ist interessant, bei Innovation war Puch selber eher konservativ. So lehnte er den Freilauf am Fahrrad anfangs vehement ab. Neue Wege in der Verzierung der Fahrradrahmen durch geätzte Motive und Firmennamen und die berühmte ‚Vollscheibe‘ waren originär von Puch, später von vielen Firmen der österreichisch-ungarischen Monarchie kopiert. Die spektakulären Puch Prototypen zwischen 1978 und 1986 waren richtungsweisend, wurden aber nicht zur Serienreife gebracht.
D In Alt-Österreich und in der ersten und zweiten Republik wurde ja auch Stahl hergestellt, leistete man sich so etwas wie Produktforschung, oder wie kann man sich das vorstellen?
W Puch verwendete von Anfang an den besten steirischen Stahl, legte Wert auf höchste Qualität und kaufte die besten Werkzeugmaschinen am Markt. Auch hier ist die frühe Beschäftigung mit Aluminium bemerkenswert.
D Zum Mythos Waffenrad: was genau macht ein Waffenrad aus, wurden Waffenräder nur von Puch gebaut?
W Ich ersuche mein Buch zum Thema zu lesen 😉 Im Ernst, das Waffenrad kam zu Puch ja erst mit der Fusion 1934, die ‚Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft‘ (Hersteller des Waffenrades) war vorher einer der größten Konkurrenten von Puch. Das Waffenrad hatte das Image des ‚unkapputbaren‘ Fahrrades schon lange bevor dieser Begriff entstanden ist, dieses Image wurde bei Puch natürlich weitergepflegt. Selbst heute noch gibt es den Markennamen Waffenrad und er hat einen guten Klang in Österreich.
D Mythos Rennrad: Wie gut war Puch wirklich im Vergleich zu Rennrad-Traditionsmarken wie Peugeot, Bianchi, Raleigh und all den anderen?
W Rennräder gab es von Anfang an, die Rennmaschinen vor und um 1900 waren auf der absoluten Höhe ihrer Zeit, absolut vergleichbar mit der führenden englischen Produktion. Dann war eher Pause mit guten Rennrädern, von der Zwischenkriegszeit bis zum Anfang der 1970er gab es kaum erfolgsversprechende käufliche Rennräder, die Mistral-Ultima-Serie der 1980er war schon vom Preis her als Top-Maschinen gekennzeichnet, auch die Qualität war top wie die der besten italienischen Rennräder.
D Für Sammelanfänger: welche Fehler sollte man bei der Anschaffung und beim Aufbau vermeiden? Sind Puch Räder, die nach 1987 (als die gesamte Fahrradproduktion nach Italien ging) gebaut wurden, ein Teil des Mythos?
W Ich halte wenig vom Modernisieren historischer Fahrräder. Ein Fahrrad aus den 1920er oder 30er Jahren ist heute noch gut und durchaus wohlfeil zu bekommen, sollte aber mit höchstens neuen Reifen modernisiert werden. Bremsen und Lichtanlagen dieser Jahre funktionieren, wenn technisch in Ordnung, auch heute noch. Sie bedingen eine weniger forsche Gangart, ein wenig mehr Vorausschau und Sorgfalt im Umgang. Ein altes Fahrrad ist immer auch eine Zeitreise-Maschine. Man sollte sich auf die alte Technik einlassen und man wird Erfahrung ernten. Die alte Technik erzählt von früheren Zeiten, man braucht nur zuzuhören. Die Produktion von Puch Fahrrädern nach 1987 hat derzeit noch wenig vom Puch-Flair, wird aber auch einmal Sammler finden.
D Danke für das Interview!
Ulreich, Wehap: Die Geschichte der PUCH-Fahrräder, 22,5 x 26,5 cm, 400 Seiten mit ca. 500 farb. Abbildungen, Hardcover mit Schutzumschlag. Weishaupt Verlag, Gnas. 2016. ISBN: 978-3-7059-0381-4 Das Buch enthält ein englisches Summary.
Informationen zu dem Buch auf der Webseite des Verlages
Wichtiger Hinweis für Puch-Fans: noch bis zum 1.8.2016 kann man beim Foto- und Video Wettbewerb „Ich und mein Puch-Fahrrad“ mitmachen. Näheres unter dem Verlagslink.
Das Buch ist im gutsortierten Buchhandel erhältlich. Falls der örtliche Buchhändler das Buch nicht vorrätig hat, kann dieser es leicht in 2-3 Werktagen besorgen. Man muss also keinen Online-Buchhändler bemühen.
Schon gesehen in der Buchhandlung im Stuwerviertel Stuwerstraße 42, 1020 Wien