Frida Notter war Anfang Februar in Helsinki bei Schnee, schüchternen Menschen und stärkenden Getränken. Hier ist ihr inspirierender Bericht:
Wo ich das erste Mal vom Winter Tweed Run Helsinki gehört habe, weiß ich gar nicht, ich glaube es war ein Youtube–Video, in dem wilde Männer mit Eiszapfen in den Bärten ihre Räder durch hohen Schnee gelenkt…oder häufiger noch: geschoben haben. Ein kleines rotes Holzhaus hat man gesehen in diesem Video und diverse Flaschen und Fläschchen mit „wärmender Medizin“. Ich hab gleich gewusst: wenn ich mal was Extremes machen will, dann mach ich das (extremer schaffe ich nicht). Dieses Jahr war’s dann soweit. Als fest stand, wann der diesjährige Winter Tweed Run stattfindet, habe ich Flug und Hotel gebucht und mich auf die Suche nach einem Fahrrad gemacht. Das Hotel hat zwar welche, verleiht sie aber im Winter nicht, Radverleihs haben im Winter ebenfalls nicht offen und eine Citybike-System gibt es auch nicht. Fündig geworden bin ich dann letztendlich über die Facebook-Seite des Winter-Tweed Runs. Dort hat sich der Besitzer des Radladens classicbike bei mir gemeldet (wenn ihr mal in Helsinki seid, unbedingt dort vorbeischauen – am besten allerdings vorher gleich schon Übergepäck für den Rückflug reservieren ;-)) und mir ein pinkes Pashley Poppy angeboten – ganz umsonst (lediglich im Tausch gegen ein paar österreichische Süßigkeiten) und ohne jegliche Sicherheit wie ein Pfand oder so. Was für ein Vertrauen und was für eine schöne Geste!
Diese pinke Schönheit habe ich mir dann am Samstag, am Tag vor dem Tweed-Run vom Radladen abgeholt und sehr vorsichtig und ängstlich über Eisplatten zum Hotel geschoben, wo ich es immerhin im Gepäckraum übernachten lassen durfte. In der Nacht hat es dann glücklicherweise zu tauen begonnen (schade um den schönen Schnee, aber ich hab Angst vor Eis, zumindest wenn es ums Radfahren geht) und der nächste Tag hat mich mit leichtem Nieselregen und sanftem Nebel begrüßt. Schnell hatte ich einen geräumten (!) Radweg in die Innenstadt ausfindig gemacht und so war das letzte Stück der Anreise dann kein Problem mehr.
Treffpunkt war der Senaatintori, der schönste Platz Helsinkis, der in den Vorjahren teilweise schon mit Schneebergen aufwarten konnte. Diesmal lediglich ein paar müde Schneereste. Entsprechend hat sich Tweedrunorganisator Jan auch gleich mal bei den internationalen Gästen (aus Estland, Russland, Schweden, Irland und eben Österreich) dafür entschuldigt, schon wieder keinen echten Winter bieten zu können. Zweiter Teil der Ansage: unsere estnischen Gäste haben eine Palette Bier mitgebracht, bitte das jetzt auszutrinken, wir können es nicht mitnehmen.” Und schließlich kurz zum Praktischen: „wir stoppen bei rot und fahren alle gemeinsam bei grün und auch dann weiter, wenn es wieder rot wird, wir fahren langsam, wenn einer hinfällt halten wir an und für eisige Stellen gilt – und das hat mich nachhaltig beeindruckt – „speed sometimes helps”. Dann war das Bier ausgetrunken und es ging los Richtung Hafen, allen voran ein unglaublich eleganter Hochradfahrer aus St. Petersburg, der alle Blicke auf sich gezogen hatten. Wir anderen waren, kam mir vor, nicht ganz so auffällig, was sicher auch daran lag, dass wir relativ wenige waren, nur ungefähr 25 Chaps und ganze drei Chapettes (warum nur sind die Tweed Rides so männlich, Vintage und ”Verkleiden” ist doch sonst eher ein Frauending?), aber auch daran, dass der eleganteste Zwirn unter einem dicken Wintermantel nicht wirklich zur Geltung kommt.
Ach ja, obwohl die Veranstaltung Tweed Run heißt (das haben die Tweed Run London Veranstalter wahrscheinlich einfach noch nicht mitbekommen, sonst hätten sie längst mittels Anwalt von sich hören lassen), gab es weder Anmeldung, noch Teilnahmegebühren, noch Startnummern und so soll es nach dem Willen der Veranstalter auch bleiben- kein kommerzielles Event sondern einfach eine gemütliche, stilvolle Ausfahrt mit Freunden. Noch nicht einmal Marshalls gab es wirklich, die Gruppe war klein genug, um in der Regel in einer Ampelphase über die Straße zu kommen und meist waren wir sowieso auf Radwegen unterwegs. Im Gegensatz zu anderen Tweed Rides führte die Route auch kaum durch die Innenstadt, sondern am (teilweise zugefrorenen!) Meer entlang einmal um die Innenstadt herum. Eine erste kurze Pause mit Schokolade, Schnupftabak und genau: diversen stärkenden Getränken (kaum ein Teilnehmer ohne entsprechendes Fläschchen im Gepäck) wurde bei einer Galerie eingelegt, die zweite längere an einer urigen kleinen roten Hütte am Strand, in der es diverses Gebäck, Kaffee und heißen Saft gab, sowie davor ein schönes Holzfeuer, an dem man sich aufwärmen konnte. Den Abschluss bildete die Besichtigung einer ganz zauberhaften Jugendstilvilla mit kleinem Ballsaal (dort soll es da nächstes Jahr einen Tanznachmittag im Anschluss an den Tweed Run geben- also wenn die Jungs das hinbekommen, bin ich nächstes Jahr wieder mit dabei!) und natürlich der obligatorische Pubbesuch.
Obwohl anfangs ein wenig zurückhaltend haben sich die finnischen Chapes und Chapettes (genau genommen waren keine finnischen Chapettes dabei sondern eine Schwedin eine Russin und ich) als sehr interessante, offene und herzliche Menschen herausgestellt (vor allem nach den stärkenden Getränken), die –gemeinsam mit Schnee, Nebel, Kälte und Meer- dafür gesorgt haben, diesen Tweed Run zu einem besonders schönen Erlebnis zu machen. Ich soll Euch grüßen und das nächste mal alle mitbringen!
Eure Frida Notter
Einen ergänzenden Bericht gibt es noch am Blog von Frida: blumenundfedern